Polen heute

Die Bilanz von dreißig Jahren Demokratie und Marktwirtschaft fällt in Polen zwiespältig aus. Selbst da, wo große wirtschaftliche Erfolge erzielt wurden, grassiert das Gefühl des Verlusts. Die populistische nationale Rechte nutzt dies aus. Im Juni 1989 straften die Polen bei den ersten weitgehend freien Wahlen im kommunistischen Ostblock seit Jahrzehnten das Regime ab und stimmten mit großer Mehrheit für die von der „Solidarnosc“ vorgeschlagenen Wahllisten. Dieser politische Umbruch läutete das Ende der Volksrepublik und den Beginn der demokratischen Dritten Republik ein. Bis 2015 war das Land geprägt von einer grundlegenden Transformation, die alle Lebensbereiche umfasste – mit zahlreichen positiven Entwicklungen, aber auch negativen Effekten. Das Jahr 2015 war für viele Menschen in Polen ein bitteres. Bitter, weil populistische, aggressive und nicht rational agierende Kräfte die Kontrolle über das Land erlangt hatten. Wie ist die Enttäuschung über die demokratische Wende im ehemaligen Ostblock zu erklären? Als Ursache für den postkommunistischen Populismus werden politische, ökonomische und kulturelle Gründe genannt. Am häufigsten steht die Entscheidung für eine radikale Liberalisierung der Wirtschaft in der Kritik. Erst in jüngerer Zeit sind kulturelle Ressentiments dazugekommen. Wenn es eine politische Antwort auf das Gefühl des Verlustes gibt, ohne dass der Glaube an die liberale Demokratie und den Rechtsstaat infrage gestellt wird, dann müssten der sentimentale Blick auf die Vergangenheit mit dem hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft in ein neues Gleichgewicht gebracht werden. Derzeit hat der mythologisierende Blick in die Vergangenheit die Oberhand. Es herrscht Angst vor der Zukunft, und was fehlt, sind positive Visionen für die kommenden Jahrzehnte, die alle ansprechen.